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Gesellschaft & Politik

Markus Ritter: «Das Bundesratsamt ist auch ein wenig ein Opfer»

Markus Ritter: «Das Bundesratsamt ist auch ein wenig ein Opfer – gerade für meine Frau»

Er will, und wie. Markus Ritter ist im Bundesratswahlkampf nicht zu bremsen. Im Gespräch erzählt er von seinen Führungsprinzipien, ob er an Schicksal glaubt und warum er als Sportminister nicht jedem Skifahrer die Hand schütteln würde.
01.03.2025, 13:1701.03.2025, 13:17
Lea Hartmann, Michael Graber / ch media
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Ein Biberli und ein Ragusa. Das Zmittag von Markus Ritter ist weder besonders gesund noch besonders nahrhaft. Er isst während des Gesprächs. Bundesratswahlkampf ist eine intensive Zeit. Zmorge habe er schon gegessen, versichert er. Sonst würde ihm der «Schnuuf» ausgehen. Als es darum geht, das schwere und sperrige Material der Fotografin zu transportieren, packt Ritter als Erster an. Auf den letzten Reserven scheint er nicht zu laufen.

Nationalrat Markus Ritter an einer Medienorientierung der Mitte des Kantons St. Gallen zu seiner Kandidatur fuer den Buendesrat, am Dienstag, 28. Januar 2025, in St. Gallen. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller ...
Will in den Bundesrat: Markus Ritter.Bild: keystone

Herr Ritter, Sie haben gesagt, Sie würden das Verteidigungsdepartement erst dann verlassen, wenn aufgeräumt ist. Die Schlagzeilen der letzten Tage verstärken den Eindruck, dass im Departement ein gigantisches Chaos herrscht. Immer noch Lust auf das grosse Aufräumen?
Markus Ritter: Mein Anspruch ist immer, etwas weiterzugeben, an dem der Nächste Freude haben kann. Im VBS sind die zu bewältigenden Aufgaben nun noch etwas grösser geworden, doch ich bleibe dabei: Ich würde das sehr gern machen. Nun bin ich darauf angewiesen, dass ich gewählt werde – und das Departement auch erhalte.​

Das heisst, Sie würden sich wehren, würde man Sie in ein anderes Departement stecken?
Ja. Sollte ich gewählt werden, würde ich der Bundespräsidentin klar sagen, dass ich gern das VBS hätte.

Ordnung ist bekanntlich Ansichtssache. Sind Sie ein pingeliger Staubwedler oder ein grosszügiger Aufräumer, der Sachen auch einfach mal unters Bett schiebt?
Um den Hausputz kümmere ich mich nicht. Auch fürs VBS gilt: Ich bin nur dort, wo es mich braucht. Ich bin kein Pingeliger, sondern gehe dorthin, wo eine strategische Entscheidung benötigt wird, wo es anspruchsvoll wird. Da bin ich am liebsten. Mein Motto: Du musst alles auf der unterstmöglichen Stufe erledigen lassen. Ich schenke den Leuten Vertrauen, unterstütze sie aber, wenn sie Fragen haben. Und dort, wo es Risiken gibt und wo es auch nach hinten losgehen kann, muss der Chef her. Heute ist vielfach das Problem, dass die Führungsleute versuchen, die ganz schwierigen Aufgaben zu delegieren, damit man dann nicht selbst schuld ist. Doch das geht nicht.

Sie gelten als hartnäckig, stur und zielstrebig. Ritter führt keine Schlacht, die er nicht gewinnen kann, heisst es. Was macht Sie so zuversichtlich, dass Sie Bundesrat werden?
Diese Zuversicht habe ich nicht. Das ist jetzt meine neunte Bundesratswahl, die ich im Parlament erlebe. Und es war immer gleich: Entscheidend sind die Hearings. Man muss die Kandidaten nicht nur hören, sondern auch spüren. Könnte es mit dieser Person funktionieren? Da geht es meinen Kolleginnen und Kollegen im Parlament gleich, dessen bin ich mir bewusst.

Macht es Ihnen nichts aus, dass Sie eher gefürchtet werden als geliebt?
Ich will nicht gefürchtet werden, ich will respektiert werden. Das ist nicht dasselbe. Am Schluss geht es darum, Mehrheiten zu bekommen. Das ist uns als Bauernverband in den letzten Jahren sehr gut gelungen. Jede Abstimmung, jede Wahl gewannen wir mit 60 Prozent der Stimmen und mehr. Und dass man sich so nicht nur Freunde macht, das ist halt einfach so. Unsere Aufgabe als Mitte-Politiker ist es, Leute zusammenzubringen, Mehrheiten zu schaffen. Mit meiner Präsenz, meinem Fleiss und meiner Geschwindigkeit bin ich vielleicht erfolgreicher, als andere das gerne hätten. Aber ich versuche einfach, es gut zu machen.

Können Sie auch verlieren?
Ja, im Parlament habe ich viel verloren. Ich habe immer gefragt: Warum ist das so? Was muss man ändern?

Ihr Erfolgsrezept?
Ganz wichtig: Du musst die formellen Abläufe kennen. Wenn du nicht weisst, was im Parlamentsgesetz steht, dann kannst du nicht gewinnen. Du kannst nicht jassen, wenn du die Karten nicht kennst.

Liegt das Parlamentsgesetz noch immer auf Ihrem Nachttisch?
Ja klar, und der Kommentar dazu auch. Wenn ich eine Spezialfrage habe, «nusche» ich darin. Und wenn ich dort die Antwort nicht finde, rufe ich am nächsten Tag beim Rechtsdienst des Parlaments an.

Demut ist Ihnen sehr wichtig, das betonen Sie auch in diesen Wochen wieder. Gleichzeitig suchen Sie die Macht. Schliesst sich das nicht aus?
Was heisst das, Macht? Wenn Sie Macht haben wollen, müssen Sie CEO einer Firma werden. Ich kann ja nicht einfach hier sitzen und sagen, wie es läuft – so funktioniert das nicht in unserem System.

Woher kommt Ihr Gestaltungswille? Waren Sie schon immer so ehrgeizig?
Ja, ich hatte schon immer den Drang, etwas zu bewegen – das begann schon in der Schule. Ich wurde Aktuar in der Schützengesellschaft, war Kassier in der Käsereigenossenschaft, im Stadtrat. An der letzten Aufgabe bin ich gewachsen für die nächste. Ich fand es immer interessant, etwas anzupacken, das noch etwas schwieriger ist.

Lassen Sie uns raten: Sie waren ein fleissiger Schüler.
Ja, schon, aber nie wie mein Bruder. Mein Bruder und meine Schwester lasen beide viel, während ich eher der sportliche, praktische Typ war. Ich hab meinem Bruder jeweils gesagt: Was liest du da von den alten Römern? Die sind doch alle gestorben, mit denen kannst du nichts mehr anfangen. Er nannte mich einen Banausen.

Hätten sich Ihre Eltern vorstellen können, dass ihr Sohn einmal Bundesrat werden könnte?
Nein, das glaube ich nicht. Meine Mutter war eine Seconda, sie war Italienerin. Sie war schon froh, dass sie eingebürgert worden ist. Wir haben daheim kein Italienisch geredet, die Leute damals hatten ein enormes Integrationsbedürfnis, wollten ja nicht auffallen. Das ist heute ganz anders.

Was ist das Unvernünftigste, was Sie je getan haben?Puh, da kommt mir nichts in den Sinn. Ich bin ein sehr rationaler Mensch.

Vielleicht die Bundesratskandidatur jetzt?
Ich glaube, dass alles einen höheren Zweck hat. Ich hätte Ihnen ohne zu studieren zwanzig Bundesratskandidatinnen und Kandidaten der Mitte aufzählen können, die die nötigen Fähigkeiten fürs Amt mitbringen. Aber ich bin überzeugt, dass alles so kommt, wie es kommen muss.

Sie sind ein gläubiger Mensch. Glauben Sie, dass Ihr Leben von Gott vorbestimmt ist?
Das kann ich nicht wirklich beurteilen. Ich glaube schon, dass vieles vorbestimmt ist. Warum habe ich Bauer gelernt? Warum genau diese Frau kennengelernt? Warum bin ich in die Politik? Manche sagen, es sei Schicksal, andere nennen es Zufall. Bei mir sind aber schon sehr viele Zufälle zusammengekommen.

Der Bundesrat ist nicht sonderlich divers. Es sind mehrheitlich Männer im fortgeschrittenen Alter, die Mehrheit kommt aus ländlichen Gegenden, und viele haben einen bäuerlichen Hintergrund. Gibt das nicht einen etwas einseitigen Blick auf die Schweiz?
Der Job als Bundesrat ist sehr anspruchsvoll. Das führt dazu, dass viele Menschen mit jüngeren Kindern sich fragen, ob sie sich das wirklich antun wollen. Das Gleiche gilt für Leute, die über 60 sind. Die fragen sich: Will ich mir das wirklich bis 70 antun? Wir hätten viele fähige Leute gehabt. Fallen diese Gruppen weg, bleiben am Ende fast nur Kandidaten und Kandidatinnen aus meiner Altersgruppe übrig. Ich habe mich aber gut gehalten! Das hat der Gesundheitscheck gezeigt, den ich vor der Nomination machen musste.

Der war obligatorisch?
Ja. Zum ersten Mal im Leben habe ich ein EKG gemacht. Auch einen Ultraschall gab's. Ich dachte mir, was machen die da? Aber es ist schon gut. Für das Amt muss man gesund sein. Bei mir haben sie nichts gefunden.

Über diese Wahl hinausgeschaut: Würde es dem Bundesrat nicht guttun, wenn auch Jüngere vertreten wären?
Natürlich wäre das begrüssenswert. Auch, wenn sich Frauen oder mehr Städter für dieses Amt melden würden. Doch man muss das wirklich wollen. Denn so ein Amt ist auch für eine Beziehung nicht einfach. Meine Frau hat schon auch die Stirn gerunzelt, als ihr klar wurde, wie viel ich dann weg wäre.

Wie haben Sie Ihre Partnerin überzeugt?
Wir machen das jetzt fürs Land. Das Bundesratsamt ist nicht nur eine Ehre, sondern auch ein wenig ein Opfer, gerade für meine Frau. Ich wäre ja dann die ganze Woche in Bern. Was den Entscheid erleichtert hat: Wir haben einen gemeinsamen Haushalt mit den Söhnen und der Praktikantin. Das Haus wäre nie leer, sie hat immer einen Tisch voller Leute, für die sie kochen kann. Und wir telefonieren jeden Tag miteinander.

Hand aufs Herz: Eigentlich hätten Sie doch schon lieber Landwirtschaftsminister werden wollen.
Ich glaube, das wäre nicht gut, weil der Interessenkonflikt gross wäre. Das gäbe von morgens bis abends nur Kritik. Darum ist das Wirtschaftsdepartement, selbst wenn es einst frei würde, kein Thema. Ich glaube, dass es im VBS nun jemanden braucht, der sagt: Ich will das, ich kann das und ich mache das. Das ist auch wichtig für die 12'200 Mitarbeitenden. Sollte ich gewählt werden, will ich in den ersten vierzehn Tagen einen grossen Rapport machen und zu den 1000 Führungskräften sprechen. Denen mit auf den Weg geben, wie ich arbeite, und hinhören, wo die Probleme sind.

Beim VBS reden derzeit alle über das Militär. Den Sport gibt es ja auch noch. Was ist Ihr Lieblingssport?
Der Fussball fasziniert mich. Der Ball zieht mich magisch an. Aber auch die Leichtathletik sagt mir zu. Ich war ja gross und schlank und hatte eine gute Beschleunigung. Im Weit- und Hochsprung war ich gut. Im Moment, das muss ich ehrlich sagen, hätte der Sport im VBS aber nicht erste Priorität. Da läuft es schliesslich gut.

Ein Jubelselfie mit Marco Odermatt gäbe es bei einem Sportminister Ritter nicht?
Doch, doch. Wenn es wichtig ist, dass ich an einem Event bin, dann gehe ich hin, gratuliere, habe Freude, und dann gehe ich wieder.

Bald ist die Fussball-EM der Frauen in der Schweiz. Kennen Sie den Namen einer Nationalspielerin?
Also von Frau Bachmann habe ich mal gehört, aber die ist, glaube ich, nicht mehr in der Nati. Ah, und dann gibt es noch eine Frau Lehmann, glaube ich.

Stimmt. Haben Sie schon ein Billett ergattern können? Oder hoffen Sie jetzt auf einen VIP-Eintritt?
Ich habe tatsächlich schon eine Einladung erhalten. Ehrlicherweise gebe ich zu, dass es nicht die erste Veranstaltung wäre, die ich besuchen würde, wenn ich nicht Bundesrat werden sollte. Werde ich gewählt und übernehme das VBS, dann bin ich selbstverständlich dort. Aber schon nicht jeden Tag.

Aber neunzig Minuten schon?
Ja, das schon. Und auch mit grosser Wertschätzung und Herz. Aber für mich ist es nicht akzeptabel, wenn du immer an solchen Anlässen bist und die Zeit jetzt an anderer Stelle so dringend brauchst. Das ist immer das Einfachste für einen Chef, wenn er sich nur um die Dinge kümmert, die gut laufen. Da ist zwar schön, aber nicht effektiv.

Heisst das, Frau Amherd hat die Prioritäten falsch gesetzt?
Erstens kann ich die Leistung von der Frau Amherd nicht komplett beurteilen, zweitens kann ich sicher sagen, dass gerade die Fliegerbeschaffung ein grosser Erfolg ist. Sie hat wirklich sehr vieles auch gut gemacht. Das möchte ich betonen.

Werfen wir einen Blick über die Schweiz hinaus. Die Weltpolitik ist egoistischer geworden, vielen Ländern geht es vor allem nur noch um sich selbst. Ist das eine gute Entwicklung?
Das bereitet mir schon Sorgen. Ich glaube, es ist für die Weltgemeinschaft wichtig, dass die humanitäre Tradition und auch gewisse Sicherheitskooperationen gepflegt werden. Wir müssen unsere Rolle aber auch realistisch einschätzen. Wir sind ein kleines, neutrales Land. Wirtschaftlich durchaus stark. Aber wenn wir uns überschätzen, werden wir zwischen den Blöcken zerrieben. Unsere Stärken sind die diplomatischen Dienste. Die sollten wir pflegen.

Braucht es auch mehr «Switzerland first»?
Es ist richtig, dass jedes Land für seine eigenen Interessen schaut. Ich glaube aber auch, dass es wichtig ist, dass wir eine humanitäre Tradition pflegen. Es gibt viel Not auf dieser Welt, und die Schweiz kann mit ihren Ressourcen viel dazu beitragen, um Not zu lindern. Gleichzeitig darf nicht das Gefühl aufkommen, dass wir die eigenen Leute vergessen.

Wäre es Ihnen wohl auf dem internationalen Parkett mit Donald Trump, Friedrich Merz und Co.?
Ich wäre kein Aussenminister. Ich möchte relativ zügig entscheiden, umsetzen und bewegen. Die internationale Diplomatie ist dagegen eine sehr langatmige Angelegenheit. Ich bin froh, dass Bundesrat Cassis das sehr gut macht. Aber bevor man in der ganzen Welt unterwegs ist, muss man zuerst daheim Ordnung haben. Es bringt doch nichts, wenn ich zwei, drei Tage in der Welt herumreise und nichts bewegen kann, zu Hause aber viele Aufgaben zu erledigen habe. Im Idealfall machst du es wie Guy Parmelin und versuchst dann, gleich mehrere Abkommen an einem Wochenende zu unterschreiben.

Sie sind vor zwölf Jahren das letzte Mal geflogen. Wohin ging dieser Flug?
Nach Berlin. Wir gingen an die «grüne Woche», eine grosse Landwirtschaftsmesse. Der Bauernverband hat das organisiert. Aber ich bin kein Fliegertyp. Das gibt einen viel zu grossen ökologischen Fussabdruck.

Eine Barriere sind Ihre fehlenden Englischkenntnisse. Machen Sie jetzt neben dem Französisch-Kurs auch noch einen Englisch-Kurs?
Das mache ich, wenn ich gewählt werden sollte. Aber zuerst ist jetzt Französisch angesagt. Bei internationalen Verhandlungen würde ich sowieso nie ohne einen Dolmetscher etwas machen. Wenn du wirklich Erfolg haben willst, dann braucht es Spezialisten. Aber ein bisschen Smalltalk will ich schon führen können. (aargauerzeitung.ch)

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61 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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WarioUnfehr
01.03.2025 13:41registriert Juni 2021
Wenn Ritter gewählt würde, ist die Schweiz das primäre Opfer.
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Pontifax
01.03.2025 13:41registriert Mai 2021
Herr Ritter auf keinen Fall! Keinen Fuss breit den religiösen Fundamentalisten!
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Lord_Mort
01.03.2025 13:57registriert Oktober 2015
Ich wüsste nicht inwiefern Ritter auch nur annähernd kompetent für dieses Amt wäre. Gerade in der aktuellen Weltlage.
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    «Gib den geschenkten Schweizer Pass ab» – SVP-Politiker greift Sanija Ameti an
    Ein Aargauer SVP-Politiker hat Sanija Ameti, die Co-Präsidentin der Operation Libero, in einem E-Mail rüde angegangen. Einsicht will er keine zeigen.

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